Dienstag, 29. November 2011

Castor 2011 - Gorleben

Der Castor 2011 - das wahrscheinlich aufregendste Erlebnis in meinem Leben bisher

-Freitag-
Nach der Schule geht es los, 424 Kilometer mit dem Auto ins Wendland.
In unserem Hippie-VW-Bus sitzen Lukas, Jonathan, Shenja, Lisa, Frauke und Ich - die Fahrt ist geprägt von den Ärzten, Irie Rèvoltès und auch Wir sind Helden sind dabei, nicht zu vergessen das Gedoodel auf dem Kazoo.
Nach einer sehr langen Fahrt kommen wir an, erst einmal gibt es auf der Info-Wiese in Dannenberg Landkarten der Umgebung und weitere Informationen und dann geht es nach Metzingen ins Camp.
Es ist Nacht, knapp 0 Uhr, wir sind fast das letzte Auto, das den Weg ins Camp noch fahren kann. Nachdem wir erfahren, dass wir in einer Garage in der Nähe schlafen, rückt die Polizei an.
In der Nähe des Buses steht auf einmal ein Wasserwerfer und viele, sehr viele..Polizisten in voller Montur.
"Krass..."  - weiter ausformulierte Gedanken bekomme ich in diesem Moment nicht auf die Reihe.
Die Polizei will das Camp räumen, einige wehren sich mit Feuerwerkskörpern dagegen und werden mit Wasserwerfern und Tränengas nieder gedrückt, wir hauen schnell über die andere Seite ab um unsere Herberge für 3 Tage zu beziehen.
Ich bin sehr glücklich in dieser Garage schlafen zu können, es liegt Stroh herum - das wärmt - und einen Wasserkocher gibt es auch.
Ich bin immer noch voller Adrenalin und wir gehen zurück ins Camp.
Die Lage hat sich verschärft und um nicht reingezogen zu werden, bleiben wir im Hintergrund, schreien die Parolen aber doch mit, Bürgerkriegsstimmung - nur friedlicher.

- Samstag -
Wir stehen früh auf und machen uns zu Fuß auf in den Wald. Was uns da erwartet?
Ich bin mir gar nicht sicher. Die anderen haben sofort erkannt, wir gehen Schottern!
Viele Kilometer wandern wir durch den Wald, alle paar Meter bauen wir Blockaden auf, damit die Polizei nicht durchkommt. Stellt euch einen Waldweg vor, wo man eh schon schwer mit dem Auto lang fahren kann, und dann auch noch Baumstämme, Äste oder alte Landwirtschaftsgeräte als Wegsperre - ein skurriles Bild.
Jetzt habe ich schon das Gefühl, in einer anderen Welt zu sein, doch es ist schön hier! Andauernd schaue ich mich um, 'sind die Bullen in der Nähe?'
Wir treffen auf andere Gruppen im Wald, über uns ein Hubschrauber, aber Polizisten immer noch nicht in Sicht. An einer Lichtung halten alle Inne, ziehen sich ihren Schal vor das Gesicht, setzen ihre Brillen gegen das Tränengas auf, holen ihr Schotterwerkzeug aus der Tasche.
Mir wird nun auch klar was wir tun.  Eigentlich wollte ich das nicht, doch jetzt reißt es mich mit. Unser Schritt wird schneller, wir sind mittlerweile über 500 (glaube ich), vorne beginnen einige zu rennen, wir schließen uns an. Unsere Bezugsgruppe aus 5 Leuten nennt sich "Batman", solche Namen sind wichtig, um sich schnell wieder zu finden in der Menge.
Immer schneller.. es geht links in den Wald und schon sehe ich die Schienen, sie liegen einen kleinen Hang hinunter. Ein bisschen Angst habe ich schon, deshalb bleibe ich erstmal oben.. die Lage überblicken und den anderen den Hang hoch helfen, sobald es brenzlig wird.
Einige Schotterer legen ein Feuer, ob absichtlich oder unabsichtlich weiß ich nicht.
Noch über 100 Meter weg, sieht man eine Hundertschaft, die über die Schienen anrückt.
Adrenalin!
Wir wissen, wir haben noch Zeit. Es wird eine Plane entrollt, um die Schotterer vor den Kameras der Polizei zu schützen. Sie fangen an zu rennen. Ich schreie verzweifelt "Batman", doch wir sind nicht komplett und unsere ganze Gruppe will nicht hoch kommen.
Batman ist nun vollzählig und die gewalltbereiten Schotterer gehen Richtung Polizei und werfen Steine, Feuerwerkskörper, Rauchbomben.
Mein Herz pocht.. es tauchen berittene Polizei-Staffeln auf und wir laufen einige Meter.
Ich habe Angst. Diese Pferde sind unberechenbar.
Wir interessieren sie nicht, Glück gehabt. Die Polizei ist auf unserer Ebene angekommen und wir rennen bis zum Feld.
Ich sehe Rehe durchs Dickicht springen - schrecklich - aufgeschreckt und verwirrt laufen sie quer durch den Wald, in das Getümmel rein und über das Feld.
Als wir uns gerade ein bisschen beruhigt hatten, galoppierten die Pferde wieder in unsere Richtung und wir laufen ins Feld.. über das Feld.
Alles gut.. aus der Ferne können wir noch ein paar Ausschreitungen beobachten, müssen uns aber wirklich wieder auf den Weg machen.
Wir haben grade mal 12 Uhr (morgens) - Die Polizei räumt mit einem Räumungspanzer unsere größte Blockade weg, einige Sekunden später bauen wir sie wieder auf. Nun liegen auf der Straße: Bäume, Äste und ein alter Pflug - Schade für die Polizei.
Anscheinend sind wir viel näher an unserer Garage, als wir gedacht haben. Nun geht es nach Hitzacker ins Camp. Hier ist es anders als in Metzingen, alles ist bunt und in diesem Moment gibt es große Aufbruchsstimmung zur Schienenblockade.
Ich treffe einige Freunde und Bekannte und einen einsamen Hund namens Sammy.
- verteilt über alle Tage haben wir wahrscheinlich zwanzig-tausend-hundert-dreizehn Menschen im Auto mitgenommen, das sechs Sitze hat. So kommt es mir jedenfalls vor -
Die Schienenblockade, zu der wir wollen, ist in Harlingen. Entspannt wandern wir über ein Feld und die Schienen sind schon in Sichtweite. Unsere einzige 'Waffe', ein Strohsack, um nicht ganz so kalt und unbequem auszuharren auf den Schienen. Schon wieder sehen wir Pferde auf uns zu laufen, also sprinten wir den Hang zu den Schienen hoch - Immer im Blick: die Polizisten, die eine Kette an der Hang-Kante vor den Schienen bilden
Ich stehe vor einer Polizistin und schaue sie an. Mit den Worten "Kommt Leute, stellen wir uns genau an die Kante, dann fallen sie die Böschung runter" schubst sie mich ein Stück und ich verletze mir die Knie. Weiter vorwärts kämpfe ich mich auf halber Höhe, nach ein paar Metern kann man auch hier auf die Schienen gelingen.
Wir wollen uns nirgendwo dazwischen quetschen, sondern die Blockade länger machen. Auf dem Weg zum anderen Ende werden wir weiter herum geschubst und reagieren mit dem Ausruf:
"Wir sind friedlich, was seid ihr?"
Jonathan erntet Beifall und angespornt von seinem Schrei: "Polizisten seid nicht blind, wir steh'n hier auf für euer Kind" verdrängen die Demonstranten friedlich  mit viel Geschrei die Polizei und wir rücken ein ganzes Stück weiter. So ging es eine Stunde weiter, bis die Polizei vorerst aufgibt und die verschiedenen Blockaden miteinander vereint werden können.
Wir haben eine lange Nacht vor uns bei sehr niedrigen Temperaturen. Unfassbar, wie herzlich die Wendländer sind, es gibt heiße Suppe, Wärmedecken, Schokolade und fast alles, was das Herz begehrt :)
Toiletten soll es auch geben, habe ich gehört. Also mache ich  mich auf den Weg, genau diese zu suchen. Auf dem Feld stehen 20 Dixis - Strike! - ....AHH und was hat die Polizei gemacht?
Sie haben ihre GeSa (Gefangenensammelstelle) um diese Dixis rum gebaut, leider will sich kein Polizist auf Diskussionen mit mir einlassen..
Nach 12 Stunden räumen sie die Strecke, es wird genau neben uns damit angefangen. Als wir sehen mit wie viel Gewalt sie vorgehen entschließen wir, auch aufgrund unserer Minderjährigkeit, nun freiwillig zu gehen.
Auf dem Feld stehen ca. 100 Wannen (Wanne = Polizeimannschaftswagen) und sie schubsen uns erneut herum, ohne auch nur ein Wort zu verlieren.
Heute geht anscheinend keine große Aktion mehr. Es ist 4:30 - ab ins 'Bett'!!

- Sonntag -
Wir haben ein wenig verschlafen. Die Kälte überwältigt mich und mein Frühstück besteht aus Schokolade und kaltem Tee.
Zu zweit stehen wir draußen am Vw-Bus, da fährt Polizei vorbei. Ich zähle mit:
- 96 Wannen
- 3 Räumungspanzer
- 3 Wasserwerfer
SCHEIßE - da ist was los, bei uns im Wald, um die Ecke!
Die Neugier packt uns und mir machen uns auf zu einem kleinen Morgenspaziergang. Ganz hart aussehende Kerle kommen uns da entgegen, vermummt, sie sagen uns wo wir lang müssen, um den Bullen nicht zu begegnen.
Auf dem Weg werden wir immer mehr - Es ist ein langer Weg - wieder über Felder und durch den Wald. Wie am Tag zuvor, bauen wir hinter uns unendliche von Blockaden auf.
Wir erreichen eine Lichtung, "Rosa Punkt" steht dort auf einem Banner, anscheinend einer der vielen Treffpunkte im Wald von denen aus Aktionen gestartet werden.
Der Ruf "Batman" hallt durch den Wald, die Polizei kesselt den Treffpunkt ein und zwar direkt mit ein paar Staffeln schwer ausgerüsteter Beamter. Die Lichtung ist eine Weggabelung mit vier Wegen
Wir verschwinden in die einzige offene Richtung. Aus etwas Entfernung beobachten wir, wie sie den Punkt räumen und umstellen.
Ich komme mir vor, wie in einem Computerspiel ... wir fangen an weitere Barrikaden aufzubauen, die Polizei schaut zu uns und wird immer nervöser, gleichzeitig werden sie dort immer mehr.
Wir bringen sie wohl ganz schön aus der Fassung. Ganze Baumstämme schleppen wir zu fünft auf den Weg, immer mit Blick in Richtung Lichtung, um noch rennen zu können, wenn es brenzlig wird.
Auf dem Rückweg überrascht uns der Regen.
Nach viel zu kurzem Aufwärmen, fahren wir los zur nächsten Schienenblockade.
Der Weg ist durch die Polizei versperrt, also zu Fuß weiter. Vorbei an ein paar Wannen, mit schnellem zielgerichteten Schritt durch das Lager der Polizei durch und links im Dunkeln neben einem Fußballstadion vorbei. Um die Ecke durch den Matsch, es ist immer noch dunkel. Hier treffen wir auf zwei Polizisten, die wir aber geschickt umgehen, jetzt nur noch auf das Schulgelände dort vorne, dort dürfen sie uns eh nicht hin folgen.
Zwei Minuten später stehen wir auf den Schienen, hier ist kaum Polizei, nur eine Beton-Pyramide mit 3 Bauern, die die Schienen versperrt (!!!).
Auch hier sitzen wir stundenlang, singen Lieder, summen Melodien (bevorzugt Tetris), schlafen vielleicht etwas oder freuen uns einfach nur über die warme Suppe der Volksküche.
Die Polizei wird langsam nervös und patroulliert alle 10 Minuten an uns vorbei, einfach nur um Präsenz zu zeigen. Lange halten wir es hier auch nicht mehr aus, der Wind ist kälter als letzte Nacht.
Der Polizist, der die Räumung verkündet, ist selten lustig drauf. Seine Kollegen nennen ihn "inkompetent" von mir kam nur ein "cool!".
Stattdessen der üblichen drei Räumungswarnungen, macht er sieben.
Er sagt: "Ja...heute ist die Polizei wohl zweiter Sieger"
und hält uns immer auf dem laufenden, was grade so passiert.
Seine Kollegen finden ihn leider immer noch nicht annähernd so lustig wie wir und gehen relativ ruppig mit uns um. Aber auch diese Räumung läuft nahezu problemlos.
Meine Bewunderung für die Aktivisten steigt immer mehr und ich muss zugeben, ein bißchen stolz bin ich auch. Wir haben den Castor so lange aufgehalten, wie NOCH NIE! BÄHM!

- Montag -
Ausschlafen ist angesagt, obwohl ich lieber noch auf die Straßenblockade in Gorleben gegangen wäre.
Mit dem Auto versuchen wir über eine Stunde möglichst nah an die Blockade ran zu kommen, über einige Feldwege haben wir die Sperren der Polizei und die Sperren, die für die Polizei errichtet wurden, umfahren.
Im Radio wird wieder von starker Gewalt gegenüber Demonstranten berichtet, ich mag schon gar nicht mehr hin hören.
Mit etwas Verspätung und nach ein paar Gesprächen mit Wendländern fahren wir also Richtung Heimat. Morgen ist ja schließlich wieder Schule, der Alltag beginnt... nirgendwo ist Polizei, du musst nicht mehr rennen und die Menschen sind auch nicht mehr so nett.
Atomkraft ist der letzte Scheiß - wir woll'n Frühstück auf dem Gleis!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen